Rat und Tat

Vom Spielen und Musizieren

»Zuletzt will ich noch eine Frage anschneiden, die mir besonders am Herzen liegt und die auch durch die Authentizitätsdiskussion ausgelöst wurde: Alle Probleme – wie Musik aufgeführt werden soll, ob man dem Autor verpflichtet ist, wie wichtig Werktreue ist, wie ähnlich Musizieren dem Restaurieren sei – zeigen uns, wie sehr heute die Musik dem Leben entfremdet ist. Wir reden darüber, wir theoretisieren über Probleme, wir fördern das Musikleben. Aus all dem können wir entnehmen, wie gefährdet die Kunst bereits ist. Hätte die Musik ihren selbstverständlichen Platz im Leben, wir würden nicht über diese Fragen sprechen, sie wären gelöst. — Ich glaube, wir haben an einem wichtigen Kreuzweg die falsche Straße gewählt: Technologie, Materialismus, logische Konsequenz. Sie haben sich wie Krebs in unseren Gehirnen ausgebreitet und die anderen Aspekte erstickt.

Im alten Erziehungssystem gehörte die Musik zu den wichtigsten Fächern. Weil man mit musikalischen Kenntnissen keine Autos konstruieren oder Formulare ausfüllen kann, meint man, sie sei nur eine 'schöne Kunst' und man könnte sie aus der Erziehung entfernen. — Durch die unselige Konzentration auf das Praktische und die Vergötzung der sogenannten Arbeit hat der abendländische Mensch das Spielen verlernt; ja schlimmer, er verachtet es. Wir müssen unsere Erziehungssysteme neu durchdenken, bevor es zu spät ist. Ein Computer kann nicht musizieren, er kann auch nicht lieben.«

Nikolaus Harnoncourt (1995)
zitiert aus: Mozart-Dialoge (Seite 30), Bärenreiter, 2. Auflage 2018
Schallbecher "Familienaufstellung"